Silvesterangst - Die beste Strategie, Silvesterangst bei Hunden und Katzen zu begegnen

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(Fachartikel erschienen in „KTM 6/2021“)

Alle Jahre wieder wird in der Silvesternacht geböllert und viel Feuerwerk abgeschossen. Und dann kommt bei vielen Tieren die Angst. Das ist sowohl für die Tiere als auch deren Besitzer eine starke Belastung. Aber auch für den Tierarzt ist es eine Herausforderung. Der Praxisalltag lässt nicht immer eine ausführliche verhaltenstherapeutische Beratung zu. Dafür kann man aber Blätter mit Tipps und Ratschlägen aushängen oder mitgeben. Im Folgenden erfolgt eine Erläuterung zur Wirkungsweise der anwendbaren Psychopharmaka und Futtermittel mit ihren Vor- und Nachteilen. Außerdem werden Grundzüge einer möglichen Verhaltenstherapie erläutert.

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Wie entsteht Angstverhalten?

Angst vor Geräuschen (Geräuschphobie) kann entstehen, wenn sich das Tier vor einem Geräusch wie z.B. Feuerwerk, aber auch Autohupen oder Gewitter erschrickt. Dies kann auch ein lange bekanntes Geräusch sein, auf das das Tier plötzlich ängstlich reagiert. Die Geräuschtoleranz kann sich individuell im Laufe der Zeit ändern. Ein wichtiger Faktor bei der Entstehung von Angst liegt in der frühen Lebensphase, der sogenannten Sozialisierung des Tieres. Dabei spielen beim Hund die ersten vierzehn Lebenswochen, bei der Katze die ersten sieben Lebenswochen eine entscheidende Rolle. In dieser Zeit erlernen die Welpen die grundlegenden Regeln für den Umgang mit anderen Lebewesen (Sozialisation) und gewöhnen sich an die Reize der Umwelt (Habituation). Mangelt es in dieser Phase an Kontakten zu anderen Tieren, Menschen oder Umwelteinflüssen wie zum Beispiel Lärm im Haushalt oder Straßenverkehr, lernt der Welpe in seinem weiteren Leben nur schwer, mit neuen Situationen umzugehen. Früh bildet sich ein Muster heraus, mit dem dann verglichen wird: Bekanntes erzeugt keine Angst, Unbekanntes wird mit Vorsicht betrachtet und erzeugt Unbehagen bzw. Angst. Reizarme oder isolierte Aufzucht erschwert also den Umgang mit Stress auslösenden Umweltfaktoren. Außer der Aufzuchtsituation kann auch eine genetische Veranlagung zur Entwicklung einer Geräuschangst führen. Einige Hütehunderassen wie der Border Collie und der Bearded Collie sind dafür prädisponiert. In der Regel potenziert sich die Geräuschphobie von Mal zu Mal. Hierbei spielt auch die Lernerfahrung (die Angst vor der Angst) und das Verhalten der Besitzer eine große Rolle, denn gut gemeinter Trost sorgt für Aufmerksamkeit und positive Verstärkung und wirkt somit kontraproduktiv. Vermutlich sind es an Silvester nicht nur die Geräusche, die Angst auslösen. Auch schussfeste Hunde oder solche, die sich nicht bei Gewitter ängstigen, können an Silvester Panik haben. Der Grund liegt darin, dass an Silvester optische Reize (Lichtreflexe), olfaktorische Reize (Rauchbzw. Qualmgeruch) und akustische Reize zusammenkommen und somit eine Reizüberflutung verursachen.

Die Neurophysiologie der Angst

Das Regelzentrum für die emotionale Verarbeitung der Reize aus der Umwelt befindet sich bei den Säugetieren im limbischen System. Hier findet über Neurotransmitter (Botenstoffe im Gehirn) und deren Rezeptoren die Bildung von Emotionen wie Angst und die daraus resultierenden körperlichen Reaktionen und Verhalten statt. Für die medikamentöse Therapie von Verhaltens- bzw. Angststörungen spielen die Neurotransmitter gamma-Aminobuttersäure (GABA) und Serotonin eine große Rolle. Serotonin werden angstlösende und stimmungsaufhellende Eigenschaften zugeschrieben, gamma-Aminobuttersäure wirkt erregungsinhibitorisch.

Therapiemaßnahmen

Es gibt sowohl verhaltenstherapeutische als auch pharmakologische Ansätze, um die Angst zu lindern oder zu nehmen. Sie werden sowohl einzeln als auch idealerweise in Kombination angewendet.

Verhaltenstherapeutische Maßnahmen

Desensibilisierung

Hierbei möchte man eine Toleranz des Tieres gegen angstauslösende Geräusche erreichen. Um den dargebotenen Reiz, in diesem Fall zum Beispiel Silvesterknaller, in kleinen Dosen zu starten, bietet sich eine Geräusch- CD an. Hierbei wird die Lautstärke in kleinen Stufen hochreguliert. Parallel dazu bietet der Tierbesitzer Futter an. Solange das Tier dabei frisst, signalisiert es eine weitgehende Stressfreiheit und der Reiz, also die Lautstärke, kann weiter gesteigert werden.

Besitzerverhalten

Das Verhalten des Be-sitzers sollte in den Behandlungsplan einbezogen werden. Nach Möglichkeit sollte er Entspannung signalisieren und seine Alltagsrituale beibehalten. Durch übertriebene Zuwendung verstärkt sich die Angst des Hundes bzw. der Katze. Jedes Beruhigen wird vom Hund als Lob verstanden und verstärkt sein Angstverhalten. Dem Tier sollen Rückzugsmöglichkeiten angeboten werden. Hunde- bzw. Katzenboxen mit Dach eignen sich wegen des Höhlencharakters gut. Bei starken Lichtreizen werden Rollläden heruntergezogen, vorhandene Gardinen geschlossen. Spaziergänge am Silvesterabend sollen kurz und bis spätestens 20 Uhr stattfinden. Beim Hund ist ein guter Sitz des Halsbandes zu überprüfen, damit er sich in einer Panikreaktion nicht daraus befreien und kopflos davonrennen kann. Das Anschalten eines Radios bzw. Fernsehgerätes stellt ggf. einen gewohnten Gegenreiz dar. Das Wichtigste aber ist und bleibt ein souveräner Tierhalter, der sich unbekümmert verhält und seinen Alltagsverrichtungen nachgeht, anstatt seine Aufmerksamkeit der Angst des Tieres zu widmen. Verständlicherweise fällt es vielen Besitzern schwer, die Angst ihres Tieres zu ignorieren. Auch wenn es aus verhaltenstherapeutischer Sicht nicht ideal ist, bespreche ich persönlich in meiner Praxis mit den Besitzern, dass sie im Zweifelsfall dem Tier durch körperliche Nähe oder Streicheln beistehen können.

Medikamentöse Maßnahmen

Bei Hunden mit extremer Silvesterangst werden verhaltenstherapeutische Maßnahmen alleine nicht ausreichen. In den meisten Fällen steigert sich die Reaktion der Tiere auf Silvesterreize von Jahr zu Jahr. Dabei reichen im Laufe der Jahre immer kleinere Reize aus, um Panik zu erzeugen. Somit entsteht die klassische Phobie. Damit ist gemeint, dass die Tiere sich nicht an Reize gewöhnen, sondern immer stärker auf Reize reagieren.

Trizyklische Antidepressiva

Clomipramin, in der Tiermedizin unter dem Handelsnamen Clomicalm erhältlich, zeichnet sich durch seine Serotonin-verstärkende Eigenschaft aus. Es wird bei Angstproblemen erfolgreich eingesetzt. Die häufigsten Nebenwirkungen sind Appetitreduktion und Lethargie. Es sollte vier Wochen lang vor dem Ereignis verabreicht werden.

Dosierung: Hund 2mg/ kg BID, Katze 0,5mg/kg SID

Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer

Sie zeichnen sich ebenfalls durch eine Serotonin- verstärkende Wirkung aus, haben aber weniger Nebenwirkungen als trizyklische Antidepressiva, da sie selektiv an Serotonintransportern arbeiten und andere Neurotransmitter weitgehend unbeeinflusst bleiben. Bis zu ihrem vollen Wirkungseintritt vergehen drei Wochen. In der Tierverhaltenstherapie findet der selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Fluoxetin Verwendung. In Deutschland ist er jedoch für Tiere nicht zugelassen.

Dosierung: Hund 1mg/kg SID, Katze 0,5mg/kg SID

Benzodiazepine

Sie verstärken die Wirksamkeit des hemmenden Neurotransmitters gamma-Aminobuttersäure (GABA) und verhindern dadurch eine Überregung im ZNS. Der Vorteil dieser Medikamente ist die stark angstlösende und nur gering sedierende Wirkung. Die Wirkung tritt schnell ein, es braucht keinen wochenlangen Vorlauf. Von Nachteil ist, dass Benzodiazepine sehr individuell dosiert werden müssen. Werden sie einem bereits erregten Tier gegeben, kann sich die Wirkung ins Gegenteil verkehren und zu Panikattacken führen. Wegen seiner enthemmenden Wirkung ist der Einsatz von Alprazolam bei aggressiven Hunden kontraindiziert. Bei einer Medikation von über fünf Tagen wird ein Ausschleichen empfohlen, um Entzugserscheinungen zu vermeiden. Es gibt keine speziell für Tiere zugelassenen Benzodiazepine in Deutschland auf dem Markt, eine Umwidmung der humanmedizinischen Formulierung ist aber möglich.

Dosierung Diazepam: Hund 0,55–2,2 mg/kg TID, Katze 0,2–0,4mg/kg TID Cave: Bei der Katze kann es vereinzelt durch Benzodiazepine zu tödlich verlaufenden Leberschäden kommen.

Dosierung Alprazolam: Hund 0,02–0,25 mg/ kg TID

Caseinhydrolysat

Das seit Längerem in Form von Kapseln (Zylkene) oder als Futterbestandteil (Calm, s. o. unter Tryptophan) in der Tiermedizin erhältliche Alpha-Casozepin gehört zu den Nahrungsergänzungsmitteln. Es handelt sich dabei um einen Eiweißbaustein aus der Milch mit angstlösenden Eigenschaften. Laut Studien ist seine angstlösende Eigenschaft vergleichbar mit der von Diazepam, dabei ist von großem Vorteil, dass keine Nebenwirkungen bekannt sind. Es empfiehlt sich, Zylkene mindestens zwei Tage vor einer gewünschten beruhigenden Wirkung zu verabreichen.

Dosierung: Hund und Katze individuell je nach Verabreichungsform

Monoaminooxidase-Hemmer (MAO-Hemmer)

MAO-Hemmer wirken auf das Serotoninsystem und haben eine Serotonin-verstärkende Eigenschaft. In Deutschland ist Selegin unter dem Handelsnamen Selgian für Hunde zugelassen. Seine anxiolytische Wirkung ist unter Umständen nicht ausreichend, Nebenwirkungen sind sehr selten.

Dosierung: Hund 0,5mg/kg

Tryptophan

In leichteren Fällen kann auch der Einsatz von Neurotransmittervorläufern ausreichend sein. Tryptophan als essenzielle Aminosäure wird im Körper zu Serotonin umgewandelt. In Pulverform (Relax) oder Tablettenform (Relaxan) ist es in der Tiermedizin zugelassen. Auch das Trockenfutter Calm enthält Tryptophan. Es sollte vier Wochen lang vor dem Ereignis verabreicht werden.

Dosierung: Hund und Katze individuell je nach Abreichungsform

Pheromone

Canine bzw. feline synthetische Beruhigungspheromone (D. A. P. bzw. Feliway) sind den natürlicherweise in den Talgdrüsen des Gesäuges produzierten Pheromonen nachempfunden. In der Verhaltenstherapie eignet sich ihr Einsatz unterstützend bei Unsicherheit und Angst. Nebenwirkungen sind nicht bekannt. Sie sollten zwei bis drei Wochen lang vor dem Ereignis verabreicht werden.

Dosierung: Hund und Katze, Verabreichung erfolgt als Zerstäuber, Spray oder Halsband

Phenothiazinderivate

Von dem Einsatz von Azepromazin (Vetranquil oder Sedalin) ist sehr abzuraten. Als Phenothiazinderivat hat es nur eine sedative Wirkung auf das zentrale Nervensystem, erhält jedoch die Reaktion auf Stimuli. Dies führt dazu, dass die Tiere zwar äußerlich ruhig erscheinen, jedoch alle Formen der Reize wahrnehmen. Durch die starke Sedation sind sie in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt und können somit nicht angemessen reagieren, z. B. mit Fluchtoder Rückzugsverhalten. Dieser Umstand hat zur Folge, dass sich die Angst nach jeder Behandlung verschlimmert.

Dosierung: Verabreichung nicht anzuraten

Dexmedetomidin

Hierbei handelt es sich um ein bei Geräusch- bzw. Silvesterangst für den Hund zugelassenes Präparat in der Tiermedizin. Der Handelsname ist SILEO. Ein großer Vorteil dieses Präparats ist, dass es auch dann noch wirkt, wenn der Hund bereits Angst hat. Bei der Verabreichung ist zu berücksichtigen, dass das Medikament auf die Mundschleimhaut zwischen Lefze und Zahnfleisch aufgetragen werden muss und nicht geschluckt werden darf. Daher darf der Hund auch frühestens 15 Minuten nach Verabreichung des Wirkstoffes gefüttert werden. Eine Nachdosierung nach 2 Stunden ist je nach Bedarf bis zu fünfmal möglich.

Dosierung: siehe Dosierungstabelle für den Hund auf der Applikationsspritze

Kaktusfeige (patentiert als TEX-OE)

Genau genommen handelt es sich hierbei um eine Wirkstoffkombination aus Kaktusfeige, Ginseng, Beta-Glucanen und den Vitaminen E und B12. Der Handelsname des Präparates lautet Prevantil. Es soll dem Körper helfen, sich besser auf Stresssituationen einzustellen und die Immunabwehr bei belastenden Situationen zu stärken. Mit der Vorbereitung auf den Silvesterstress kann der Besitzer schon ein bis drei Wochen vorher starten und Prevantil verabreichen.

Dosierung: Hund und Katze: 0,3 mg/kg SID

Imepitoin

Das Epilepsiemittel Imepetoin ist bekannt unter dem Handelsnamen Pexion. Mittlerweile hat es auch eine Zulassung für die medikamentöse Therapie von Geräuschangst beim Hund. Seine Wirkung beruht auf einer gesteigerten Aktivität der GABA-Rezeptoren. Dadurch werden Erregungsströme im Gehirn heruntergefahren. Bei der Dosierung ist darauf zu achten, nicht die Maximaldosis von zweimal 30 mg zu wählen, da das in einem Drittel aller Fälle zu einer reversiblen Ataxie führt. Die Behandlung beginnt zwei Tage vor Silvester.

Dosierung: Hund: 15–20 mg/kg BID

Tipps für den Umgang mit ängstlichen Tieren an Silvester

  • Kurze Spaziergänge bis spätestens 20 Uhr
  • Kein beruhigendes Einreden und keine volle Aufmerksamkeit auf den ängstlichen Vierbeiner (dadurch verschlimmert sich die Angst)
  • Rückzugsmöglichkeiten bieten, das Tier soll sich den Raum aussuchen dürfen, in den es sich zurückziehen möchte
  • Hunde- bzw. Katzenbox
  • Rollläden herunterlassen und Gardinen zuziehen
  • Radio bzw. Fernsehen anmachen
  • Auf ein gut sitzendes Hundegeschirr achten
  • Wichtig: Bleiben Sie als Tierhalter souverän!